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Ein schmaler Grat: Selen-Supplementierung beim Pferd

Eine marginale Versorgung mit dem essenziellen Spurenelement Selen kann Pferde krank machen. Doch eine zu hohe Dosis ist toxisch.

Viele Teile Deutschlands gelten als Selen-Mangelgebiete. Wenn die Böden wenig Selen enthalten, trifft das auch auf das Gras und Getreide zu, welches darauf wächst. Dabei gibt es sowohl jahreszeitliche Änderungen als auch Unterschiede je nach Region und Art des Bodens – Sand- und Moorböden enthalten beispielsweise besonders wenig Selen. Grundsätzlich bekommen Pferde über das Grundfutter hierzulande jedoch zu wenig des essenziellen Spurenelements. Aus diesem Grund wird – wie bei vielen anderen Haussäugetieren – eine Supplementierung empfohlen. Zugefüttert werden kann ein spurenelementbetontes, vitaminisiertes Mineralfutter, das auch dabei hilft, Lücken in der Versorgung mit anderen Spurenelementen wie Kupfer, Zink und Jod sowie den Vitaminen A und E zu schließen.

Die Dosis macht das Gift
Selen gerät immer wieder in die Diskussion, weil die therapeutische Breite sehr gering ist. Historisch betrachtet galt das nach der Mondgöttin Selene benannte Element als ausschließlich giftig. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist die essenzielle Rolle bekannt, die Selen im Stoffwechsel spielt. Sowohl eine Unter- als auch eine Überversorgung sind kritisch zu sehen, denn die Rolle des Spurenelements im Körper ist komplex.

Gegen oxidativen Stress
Selen ist als essenzielles Spurenelement unverzichtbarer Bestandteil verschiedener Enzyme, unter anderem der Glutathionperoxidase (GPx). GPx zählt zu den Antioxidanzien und baut in der Muskulatur und zahlreichen anderen Organen wie Leber und Niere Peroxide ab. So verhindert sie massive Zellschädigungen und schützt den Körper vor oxidativem Stress. Andere Selen-haltige Enzyme spielen eine wichtige Rolle bei der Schilddrüsenfunktion, der Reproduktion und der Immunabwehr.

Wenn es Pferden an Selen mangelt
Durch eine fortgeschrittene Selen- und Vitamin- E-Unterversorgung wird eine ernährungsbedingte Muskelerkrankung ausgelöst, die sogenannte „Weiß-muskelkrankheit der Fohlen“. Betroffene Fohlen zeigen eine Saugschwäche, Schluck- und Bewegungsstörungen. Weit häufiger sind vermutlich Symptome, die nicht immer als Folgen eines Selenmangels erkannt werden, zum Beispiel ein geschwächtes Immunsystem oder Fruchtbarkeitsprobleme. Weil aus der Humanmedizin verschiedene Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Selenversorgung und mit Stereotypien einhergehenden psychiatrischen Erkrankungen bekannt sind, werden diese jetzt auch beim Pferd erforscht.


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Eine Überversorgung ist gefährlich
Eine akute Selenvergiftung ist lebensgefährlich. Je nach Dosis kann es zu Ataxie und Erregungszuständen sowie Dyspnoe kommen, aber auch zu perakuten Todesfällen. So starben zum Beispiel Presseberichten zufolge 2009 bei den US Polo Championships 21 Polopferde des Teams aus Venezuela, teilweise noch auf dem Spielfeld. Sie hatten aufgrund eines
Dezimalfehlers einen Vitamin- und Elektrolytcocktail mit der zehnfachen Dosis Selen erhalten. Eine chronische Selenvergiftung kann Folge zu hoher Selengehalte im Futter sein. Mähnen- und Schweifhaar fallen aus und das Hufhorn verändert sich bis hin zum Ausschuhen. Daneben treten Inappetenz sowie Leber- und Nierenveränderungen auf.

Was das Blut über den Selenstatus verrät
Wie lässt sich feststellen, ob ein Pferd optimal mit Selen versorgt ist? Momentan wird der Selenstatus meist erfasst, indem man die Selenkonzentration in Blutserum oder Plasma misst. Aber: „In jüngster Zeit häufen sich die Zweifel, dass die direkte Selenbestimmung im Blut den Versorgungszustand adäquat reflektiert“, schreiben Wissenschaftler aus der Arbeitsgruppe um Ingrid Vervuert am Leipziger Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik in einem aktuell in der Tierärztlichen Praxis veröffentlichten Originalartikel. Stutzig machte sie, dass im Plasma oder Serum immer wieder sehr niedrige Konzentrationen festgestellt werden, ohne dass Symptome einer marginalen Versorgung zu beobachten sind. Vom Wiederkäuer ist zudem bekannt, dass eine Messung der Selen-abhängigen Glutathionperoxidase in den Erythrozyten den Selenstatus besser reflektiert als eine direkte Selenbestimmung. Ziel der Untersuchungen von Privatdozentin Vervuert war daher, die aktuell gültigen Referenzwerte für Selen zu überprüfen und die Messung der GPx-Aktivität beim Pferd zu etablieren.

Gesund trotz niedriger Selenwerte
Vervuert und ihre Mitarbeiter untersuchten 1167 Blutproben von 528 klinisch gesunden Pferden aus fünf Bundesländern. Bei fast der Hälfte der Proben lagen die gemessenen Selenwerte unter dem bisher geltenden Referenzbereich von 100–200 μg/l. Damit kamen die Leipziger zu ähnlichen Ergebnissen wie eine ältere Studie aus Tschechien. Weil keines der untersuchten Pferde offensichtliche gesundheitliche Probleme zeigte, plädieren die Wissenschaftler dafür, den Referenzbereich kritisch zu betrachten. Als Ergebnis der hier vorgestellten sowie weiterer, aktuell laufender Untersuchungen schlägt Vervuert vor, die untere Grenze des Referenzbereichs bei 70 μg/l anzusetzen. Als neue Obergrenze des Referenzbereichs errechneten die Wissenschaftler 170 μg/l. Bei nur einem Prozent der Proben lagen die Selenwerte über dieser Konzentration. Vervuert und Mitarbeiter gehen davon aus, dass sich bei hohen Selenwerten ein Plateau ausbildet und Konzentrationen über 170 μg/l bereits Anzeichen einer deutlichen Überversorgung sind. Der bisher gültige Wert von 200 μg/l sei aus den USA übernommen worden und eventuell so hoch angesetzt, weil es dort in einigen Regionen durch Selen-akkumulierende Futterpflanzen zu einer bedarfsübersteigenden Versorgung komme.

Glutathionperoxidase Aktivität
Die in den Proben von den Leipziger Spezialisten für Tierernährung gemessene GPx-Aktivität im Vollblut war bei eher niedrigen Werten eng mit der Selenkonzentration im Serum korreliert. Während beispielsweise das Damwild über ein Hochregulieren der GPx-Aktivität einen Selenmangel kompensieren kann, scheint dies für das Pferd keine Kompensationsmöglichkeit zu sein. Zusätzlichen diagnostischen Wert hat die Bestimmung der GPx-Aktivität nach Ansicht der Autoren daher beim Pferd eher nicht. Auch zum Nachweis akuter Intoxikationen ist die Methode ungeeignet, denn bei Werten über 100 μg/l ist die Korrelation zur Selenkonzentration deutlich schlechter.

Originalpublikation
Wolff F Müller AE Moschos A Köller G Bauer A Vervuert I (2017)
Selenkonzentration im Serum und Glutathionperoxidaseaktivität im Vollblut bei gesunden adulten Pferden Tierärztl Prax G
362-369 DOI :10.15653/TPG-170301

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