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ITIS | Journal Club

Management neuropathischer Schmerzen beim Hund

Neuropathische Schmerzen sind bei Menschen mit chronischen neurologischen und muskuloskeletalen Erkrankungen häufig. Auch bei Tieren kommt diese Form der Schmerzen wahrscheinlich häufiger vor, als sie diagnostiziert wird.

Die Erkennung neuropathischer Schmerzen wird zum einen dadurch erschwert, dass Tiere nicht über ihre Schmerzen klagen können. Zum anderen lernen Tierärzte in ihrer Ausbildung wenig über neuropathische Schmerzen, sodass diese besonders leicht übersehen werden. Weil spezifische Literatur zur Diagnose und Therapie neuropathischer Schmerzen beim Hund noch fehlt, müssen Informationen zu Mechanismen und Behandlungsmöglichkeiten aus der humanmedizinischen Literatur abgeleitet werden.

Neuropathische Schmerz-Mechanismen

Grundsätzlich kann Schmerz in nozizeptiven und neuropathischen Schmerz unterteilt werden. Nozizeptiver Schmerz wird durch einen schmerzhaften Stimulus verursacht, der von einem normal funktionierenden somatosensorischen System verarbeitet wird. Neuropathischer Schmerz hingegen wird durch eine Erkrankung oder Läsion verursacht, die zu einer Fehlfunktion des somatosensorischen Systems führt. Nozizeptiver und neuropathischer Schmerz können auch gleichzeitig auftreten. Es ist anzunehmen, dass neuropathischer Schmerz bei Hunden mit lange andauernden neurologischen, orthopädischen oder anderen Problemen häufig, aber unterdiagnostiziert ist. Neuropathischer Schmerz ist eine durch die neuronale Plastizität verursachte Fehlanpassung und kann zu einer eigenen Erkrankung des Nervensystems werden, wenn er länger anhält als seine ursprüngliche Ursache. Jedes innervierte Organ oder Gewebe kann betroffen sein. Der Schmerz kann entweder spontan auftreten oder sich als hypersensitive Reaktion auf einen Stimulus äußern. Dann wird von Allodynie (eigentlich nicht schmerzhafte Stimuli werden als schmerzhaft empfunden) oder Hyperästhesie (verstärkte Empfindlichkeit auf einen Stimulus) gesprochen. Der Entwicklung neuropathischer Schmerzen liegen eine Reihe von Schlüsselmechanismen zugrunde: ektopische Aktivität in afferenten Nerven, periphere oder zentrale Sensitivierung oder die pathologische Aktivierung von Mikroglia. Beim Menschen hängt die Effektivität bestimmter Wirkstoffe zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nicht von der Ursache der Schmerzen ab, sondern eher von dem zugrunde liegenden Mechanismus. Wichtig sind also Behandlungspläne auf individueller Basis.

Anamnese und klinische Untersuchung


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Offensichtliche Manifestationen neuropathischer Schmerzen sind:

  • veränderte Reaktion auf Berührung
  • Vokalisation in Abwesenheit eines schmerzhaften Stimulus
  • Phantom Juckreiz (Kratzen)
  • exzessives Lecken oder Automutilation
  • persistierende Lahmheit/ausbleibende Belastung einer Gliedmaße

Weniger deutliche Anzeichen für neuropathische Schmerzen können sein, wenn der Hund

  • generell weniger aktiv ist,
  • ungern Treppen steigt,
  • weniger springt,
  • Schwierigkeiten beim Aufstehen hat,
  • nicht mehr gut ins Auto kommt,
  • eine veränderte Körperhaltung annimmt,
  • ein verändertes Verhalten zeigt oder
  • weniger Appetit hat.

Für Labornager und auch für die Humanmedizin wurden Methoden entwickelt, um den Schmerz über objektiv zu ermittelnde sensorische Schwellenwerte zu quantifizieren (Quantitative Sensorische Testung, QST). Einzelne Techniken der QST können auch für die Beurteilung von Hunden genutzt werden, beispielsweise die mechanische QST mittels Frey Anästhesiometer (VFA), welches das Ausmaß an mechanischem Druck ermittelt, das am Patienten ausgeübt werden muss, um eine Verhaltensreaktion zu provozieren.

Schmerzmanagement

Der erste Schritt ist die Identifikation und, wenn möglich, Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung. Beispiele für Erkrankungen bei Hunden, die höchstwahrscheinlich mit neuropathischen Schmerzen einhergehen, sind: Chiari­like Malformation/ Syringomegalie, Radikulopathie durch chronische zervikale oder lumbosakrale Bandscheibenerkrankungen, (z. B. Diabetische) Polyneuropathie, Rückenmarksverletzungen durch intervertebrale Bandscheibenvorfälle oder chronische Osteoarthritis. Viele der mit neuropathischen Schmerzen einhergehenden Erkrankungen können auch nozizeptive Schmerzen verursachen. In der Veterinärmedizin werden an erster Stelle Gabapentin und Pregabalin spezifisch für neuropathische Schmerzen eingesetzt. Gabapentin kam eigentlich als Antiepileptikum auf den Markt, erst später wurde die Wirkung bei neuropathischem Schmerz bekannt. Es ist ein strukturelles Analogon von GABA und scheint die zentrale Sensitivierung zu hemmen. Außerdem könnte es eine Wirkung auf ektopische Nervenaktivität haben. Zum Einsatz von Gabapentin als Schmerzmittel gibt es in der Veterinärmedizin kaum aussagekräftige Studien, aber die humanmedizinische Literatur und anekdotische Evidenz legen nahe, dass es die Lebensqualität von Hunden mit neuropathischem Schmerz verbessern kann. Pharmakokinetische Studien schlagen eine Dosierung von 10–20 mg/kg alle acht Stunden vor. Pregabalin ist dem Gabapentin strukturell ähnlich, hat aber eine höhere orale Bioverfügbarkeit und längere Halbwertszeit. Eine Dosis von 4 mg/kg alle 12 Stunden wird vorgeschlagen. Eine veterinärmedizinische Zulassung haben in Deutschland weder Pregabalin noch Gabapentin. In einer aktuellen humanmedizinischen Metastudie werden neben Gabapentin und Pregabalin trizyklische Antidepressiva zur Therapie neuropathischer Schmerzen empfohlen. Schwächere Empfehlungen werden für Tramadol und starke Opioide wie Morphin sowie topisches Lidocain und Capsaicin gegeben.

Originalveröffentlichung:

Moore SA (2016): Managing Neuropathic Pain in Dogs. Front Vet Sci 3: 12. doi: 10.3389/fvets.2016.00012.

 

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