Ein Notfall in der Kleintierpraxis ist ein akut lebensbedrohlicher Zustand, der sofortiges tierärztliches Handeln erfordert. Klassische Notfälle sind z. B. Traumata nach Unfällen, Herz-Kreislauf-Versagen, Vergiftungen, blutige Durchfälle/Erbrechen mit zunehmender Schwäche, Magendrehung, Geburtsstörungen und perforierende Augenverletzungen.
Nicht immer sind von Tierbesitzern angekündigte Notfälle wirklich welche und manchmal ist eine scheinbar harmlose Gesundheitsstörung ein Notfall. Um einen Notfall sicher zu erkennen, müssen alle Praxismitarbeitenden gut geschult sein. Hilfreich ist, wenn es in der Praxis eine Strategie für Notfallpatienten gibt, damit im emotionalen Ausnahmezustand für Tier, Tierbesitzer und Tierarzt alle im Team systematisch arbeiten.
Instruktionen für Tierbesitzer
Wird ein Notfall telefonisch angekündigt, sollten zunächst die folgenden Punkte abgefragt werden: Art der Verletzung, Alter, Rasse und das ungefähre Gewicht. Liegt eine Vergiftung vor, bitten Sie den Tierhalter, eine Probe davon, am besten mit Verpackung, mitzubringen. Bei Unfällen mit Fremdkörpern (z. B. Verschlucken von Kleinteilen) kann ein Foto des Objekts dem Tierarzt helfen, zu verstehen, wonach er sucht. Je nach Zustand des Patienten kann man dem Tierbesitzer weitere Anweisungen erteilen: bei Bewusstlosigkeit des Tieres dieses in stabile Brust-Bauch-Lage bringen, Atemwege frei machen und freihalten. Bei stark blutenden Wunden empfiehlt Klinikleiter Dr. Bodo Kröll vom Fachtierarzt-Zentrum in Erfurt, aus hygienischen Gründen erst eine Frischhaltefolie über die Wunde zu ziehen und dann einen Druckverband anzulegen. Ist schlimmstenfalls die Reanimation nötig, kann der Tierbesitzer versuchen, mit der Hand im Herzbereich den Brustkorb zu komprimieren: 100 x Minute und nach 30 x drücken, zweimal Mund-zu-Nase-Beatmung bei gestrecktem Hals.
Top Job:
Triage im Wartezimmer
Ist der Notfall in der Anmeldung angekommen, ist es Aufgabe der Tierärztlichen Fachangestellten (TFA), Ruhe zu bewahren, Daten zu erfragen und dabei das Tier im Blick zu haben. In großen Praxen oder Kliniken kommen manchmal mehrere Notfälle gleichzeitig herein. „Da gilt es, schnell und sicher zu entscheiden, welches Tier noch 5 Minuten, 30 Minuten oder gar nicht mehr warten kann. Gut geschulte TFAs können unterscheiden, ob ein Tier lebensbedrohlich erkrankt ist oder ‚nur‘ schwer krank, aber stabil“, erklärt Fachtierärztin Dr. Nadja Sigrist aus der Schweiz. Der Notfall sollte dann umgehend in einen Behandlungsraum gebracht werden. Zu gegebener Zeit ist es gut, andere wartende Patienten darüber zu informieren, dass die Wartezeiten sich jetzt verlängert wegen des Notfalls mit Vorrang.
Arbeitssicherheit vor allem im Notfall
Doch vor jeder Notfallversorgung steht die eigene Sicherheit, denn auch der freundlichste Hund kann in einer Ausnahmesituation wie dem Notfall gefährlich beißen. Das musste Oberärztin Dr. Anna Layer von der Tierklinik in Ismaning vor vielen Jahren selbst erfahren und trägt bis heute eine Narbe im Gesicht. Wichtig ist ihr, dass der Beißschutz nicht irgendwo in der Schublade liegt, sondern in allen Größen und Arten sofort verfügbar ist (siehe Abb. 1).
Bei Hunden, die hecheln, erbrechen oder deren Schleimhäute beurteilt werden müssen, kann ein Gittermaulkorb angelegt werden. Alle Katzen und alle brachycephalen Hunde sowie Tiere mit Atemnot bekommen einen ausreichend großen und sicher verschlossenen Halskragen (siehe Abb. 2).
So gesichert, können Tierärztinnen und Tierärzte jetzt eine kurze ein- bis zweiminütige Notfall-Erstuntersuchung durchführen. Der Ablauf der Notfallbehandlung sollte weitgehend standardisiert werden. In vielen Fällen kommt das internationale ABCD-Schema aus der Humanmedizin zur Anwendung:
- (A) AIRWAY: Sind Atemwege verlegt?
- (B) BREATHING: Braucht das Tier Sauerstoff? (Atemfrequenz, Schleimhautfarbe)
- (C) CIRCULATOR: Ist der Kreislauf stabil? (KFZ, Puls, Herzfrequenz)
- (D) DISABILITY: Hat das Tier Bewusstseinsstörungen? Braucht es Medikamente ?
Notfälle rechtfertigen unter bestimmten Umständen die Erstversorgung vor der gründlichen klinischen Untersuchung sowie weitergehender Diagnostik (Blutuntersuchung, Röntgen, Ultraschall). Der Patient wird zuerst stabilisiert und dann engmaschig kontrolliert (Intensivprotokoll).
Technische Ausstattung im Notfall
Gut ist, wenn wichtige Sets zur Notfallbehandlung, z. B. die „Intubations-Box“ (siehe Abb. 3) oder die „Venenkatheter-Box“ (siehe Abb. 4), ordentlich beschriftet, vollständig und griffbereit im Sprechzimmer vorrätig sind. Möglich ist auch die klare Beschriftung von Regalflächen (z. B. „Harnkatheter“) in den Schränken mit entsprechenden Auffülllisten, damit gerade im Notfall alles da ist.
Empathie & Führung
Im Notfall haben alle viel Adrenalin im Blut: die Besitzer, die tierischen Patienten, aber auch die Behandelnden. Jetzt kommt es auf die Tierärztinnen und Tierärzte an, das richtige Maß an Empathie und Führung gegenüber dem Tierbesitzer an den Tag zu legen und gleichzeitig den Patienten zu stabilisieren. Das ist keine einfache Aufgabe! Gut ist in dieser Situation, Kompetenz und Ruhe auszustrahlen. Das vermittelt dem Tierbesitzer Sicherheit. Weiterhin hilft es, empathisch zu agieren und zu reagieren und dem anderen gegenüber Verständnis für die Situation zu zeigen.
Kommunikation mit dem Tierbesitzer
Wichtig zu wissen in diesem Zusammenhang ist, dass 75 % der Kommunikation nonverbal ist. Da macht es dann einen Unterschied, wenn der Tierbesitzer freundlich und zugewandt in der Praxis in Empfang genommen wird. Gut ist auch, den Namen der Besitzerin oder des Besitzers und des Hundes auszusprechen. Der behandelnde Tierarzt sollte sich selbst vorstellen, Augenkontakt halten und auf Emotionen eingehen. Hilfreich ist auch, sich jetzt nicht zu kompliziert auszudrücken und gegenüber den Patientenbesitzern einfache Sprache zu benutzen, denn in stressigen Notfallsituationen wird weniger verstanden als in einer Alltagssituation.
Neben aller Empathie ist es ratsam, trotzdem klar und entschieden zu kommunizieren. Situationsabhängig sollte man die Besitzer vom Tier trennen, damit erstere sich beruhigen können und die weitere störungsfreie Versorgung des Patienten gewährleistet ist. Spätestens bei einer Not-Operation sind Besitzerinnen und Besitzer nicht mehr im Behandlungsraum dabei.
Gesprächsfaden nicht abreißen lassen
Im weiteren Verlauf kann ein Mitarbeitender der Praxis am Empfang und im Wartezimmer die Aufgabe übernehmen und dem Tierbesitzer weitergeben, was gerade passiert und wie lange das ungefähr dauert. Die Zwischenzeit kann auch überbrückt werden, indem Tierbesitzer zumindest eine Zeit lang mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt werden. Das entbindet aber nicht von der regelmäßigen Kontaktaufnahme und Information zum Stand der Dinge. Möglich sind zum Beispiel folgende Fragen: „Wie geht es bei Ihnen? Brauchen Sie ein Glas Wasser?“ Oder folgendes Update zum Patienten: „Die Tierärzte kümmern sich um Max, sobald es ihm besser geht, haben sie Zeit, mit Ihnen zu sprechen.“
Im weiteren Verlauf werden durch den Tierarzt die Ergebnisse der Untersuchung mit dem Besitzer besprochen, das Einverständnis für eine OP eingeholt und ein grober Kostenrahmen abgesteckt. Diese Themen sind gerade in der Notfallsituation eine Herausforderung (siehe unten „Beispiele gelingender Kommunikation“).
Bleibt das Tier ein paar Tage stationär in der Tierarztpraxis, sollten Tierbesitzer regelmäßig über den Zustand des Tieres, zusätzliche Laboruntersuchungen/Kosten informiert werden. Dabei hat sich die Vereinbarung von Kontakt- und Sprechzeiten als hilfreich erwiesen.
Beispiele gelingender Kommunikation
Dr. Nadja Sigrist hat viel Berufserfahrung mit Tierbesitzern, die sich in Notfallsituationen Sorgen um ihr Tier machen und dann nicht leicht zu lenken sind. Sie rät Kolleginnen und Kollegen, ihre Kunden lieber freundlich zu bitten anstatt sie zurechtzuweisen oder im strengen Ton zu sprechen. Hier ein paar Beispiele:
Empathisch & klar
„Max gefällt mir nicht, ich möchte ihn mitnehmen, damit wir ihn untersuchen und stabilisieren können. Ich melde mich, sobald wir mehr wissen.“
„Ich verstehe, dass sie besorgt sind und am liebsten nicht von Max Seite weichen wollen, aber sie helfen uns mehr, wenn sie hier jetzt warten. Ich weiß, das ist schwierig.“
Zeitaufschub
„Max hat komplexe Symptome. Was das genau bedeutet, ist gerade schwer zu sagen, ich werde mich einmal mit meiner Kollegin austauschen.“
Kostspielige Operation
„Max ist schwer verletzt. Die gute Nachricht ist, wir können ihm mit einer Operation helfen. Leider liegen die Kosten dafür bei ca. 2.000 Euro. Wenn Sie damit einverstanden sind, bräuchten wir hier eine Unterschrift.“
Fällige Anzahlung
„Leider haben wir mit anderen Kunden schlechte Erfahrungen gemacht, weshalb die Klinik Regeln hat, dass eine Anzahlung geleistet werden muss. Würden Sie das bitte vorne am Empfang erledigen?“